Sie wurde aufgerufen. Die blonde Frau von der Anmeldung brachte sie in ein Zimmer. Es wirkte noch bedrückender als das Wartezimmer, in dem nur Orchideen ein Lichtblick waren. Die junge Frau sagte 2 Zahlen. "125; 65" Dem Mädchen wurde mulmig. Würde das alles erklären? Sie wusste es nicht. Wieder setzte sie sich ins Wartezimmer und ihr Puls stieg. Sie wurde ungeduldig, wollte wegrennen, einfach aus der Tür stürmen und nach Hause.
13:45 Uhr
Sie saß nur noch allein im Wartezimmer, gleich würde sie aufgerufen werden. Jetzt wollte sie wirklich wegrennen. Sie hatte Angst, dabei hatte sie seit Tagen darauf gewartet, endlich aufgerufen zu werden.
14:00 Uhr
Ihr Name ertönte durch einen kleinen Lautsprecher an der Wand. Die Stimme klang verzerrt.
Das Mädchen holte tief Luft, strich ihren Rock glatt, fuhr sich durch die Haare und ging zur großen, weißen, geschlossenen Tür. Sie blieb einige zeit davor stehen, ohne sich zu bewegen- dann trat sie mit einem leisen Klopfen ein.
Die Frau hinterm Schreibtisch wirkte alt- nicht so alt, aber sicherlich war sie schon über 45 vielleicht sogar 50? Wie dem auch sei- sie wirkte alt für ihr Alter, sogar ausgebrannt.
Die gleichen Fragen wurden wie immer gestellt. Es gab einige gelbe Zettel, die sie wieder abgeben sollte mit einigen Informationen.
"Wie geht es dir?"
Gute Frage- wie ging es mir? Ausgebrannt, müde, antriebslos, einsam, tüchtig, fröhlich, erleichtert, zufrieden? All diese Adjektive, die immer und immer wieder das Gegenteil voneinander behaupten. Sie fand keine Worte.
"Ich weiß es nicht."
"Denkst du, es ist besser geworden?"
War es besser geworden? Zahlen behaupten etwas anderes- aber körperlich? Müde, ausgelaugt, voller Kraft, glücklich. Alles Gegensätze, aber diese Gegensätze stimmten.
"Ich weiß es nicht."
"Brauchst du Hilfe?"
Darüber musste sie nicht nachdenken.
"Nein", sagte sie- mutig, der Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
"Melde dich, wenn etwas ist"
Mit diesem Worten ließ die alte Frau sie gehen. Sie war erleichtert, als sie das Zimmer verließ- fast schon glücklich oder doch nicht?
Sie hatte sich doch etwas vorgenommen- wollte nicht ohne Überweisung gehen.
Überweisung wohin?
Abends schrieb sie in ihr Tagebuch:
Kleine Zahlen sind nicht alles. Der klügste Schüler kann der schlechteste Mensch sein und der dümmste kann der beste Mensch auf Erden sein. Kleine Zahlen sind keine Garantie dafür, dass man gemocht wird.
Ich lebe einfach mein Leben, egal, was die Anderen machen. Ob sie nun morgen erbrechen, Drogen nehmen oder sich bei einem Trinkspiel aus Versehen das Leben nehmen- nicht mein Problem.
Es ist nicht alles, nicht für dich, aber für mich.
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